Liebe LeserInnen,
gelegentlich werden wir mit Etiketten geschmückt wie „Freie Waldorfschule“, „Grünen-Schule“, „Elite-Schule“, „Chaos-Schule“, „Behinderten-Schule“ usw. . Die Aufzählung ließe sich fortsetzten.
Sicherlich:
Wir sind frei und privat wie die Waldorfschule, aber nicht anthroposophisch orientiert oder sonst weltanschaulich festgelegt. Wir werden von den Grünen unterstützt – aber nicht nur von ihnen – sind parteipolitisch ungebunden. Bei uns müssen die Eltern – wie an allen Privatschulen – Schulgeld zahlen, aber Großunternehmer-, Manager- oder Professorenkinder sind in unserer Freien Schule (bisher) nicht zu finden.
Wir haben auch eine Kindertagesstätte, aber die 8- und 10-, selbst die 12jährigen dürfen ihre Kuscheltiere mit in die Schule bringen und sich dem Lehrer oder der Lehrerin auf den Schoß setzen.
Wir gestehen den Kindern erhebliche Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten zu, aber lassen sie damit nicht alleine und setzten uns (LehrerInnen) desöfteren auch durch.
Wir sind bislang in den Räumen der Schule für Praktisch Bildbare untergebracht, haben aber auch selbst behinderte Kinder im Vorschul- und Schulbereich.
Aufgefordert, in drei Sätzen etwas Treffendes über unsere Schule zu sagen, gebrauchen wir manchmal selbst Schlagworte wie „selbstbestimmtes Lernen“, „Schule, die (ganz) anders ist“, „Schule ohne Noten und Zeugnisse, ohne festen Stundentakt und starre Fächertrennung, ohne Hausaufgaben und ohne Jahrgangsklassen“… . Ja, was sind wir eigentlich für eine Schule? Demnächst sind wir – womöglich – auch eine „Schule ohne Räume“. Jedenfalls sind uns zum Sommer 1992 die bisher genutzten Räume in der Schule für Praktisch Bildbare (Sonderschule) seitens der Stadt Marburg gekündigt. Und andere Räumlichkeiten haben wir bislang trotz jahrelanger intensiver Raumsuche noch nicht gefunden.
Der kommende Sommer bringt uns jedoch nicht nur in höchste räumliche Bedrängnis, sondern bedeutet auch einen pädagogischen Einschnitt: Zum ersten Mal werden Kinder sechs Jahre Freie Schule durchlaufen haben und danach auf andere Schulen wechseln.
Herausgeber:
Verein zur Förderung einer Freien Schule Marburg e.V.
Großseelheimer-Str. 12
3550 Marburg
Tel.: 06421-41989
Redaktion:
André Köhler, Michael Meinel, Michael Plappert
1981: Gründung der Initiative „Freie Schule Marburg“ (FSM) Eltern, Lehrer und Pädagogen treffen sich regelmäßig; Diskussion pädagogischer Fragen.
Frühjahr 1984: Gründung des „Vereins zur Förderung einer Freien Schule Marburg e.V.“ Im Beschlußprotokoll von SPD und Grünen wird auf Landesebene die Genehmigung von 5 Freien Schulen vereinbart.
September 1984: Erste öffentliche Veranstaltung des Fördervereins mit mehr als 100 Interessierten, auf der das erstellte Konzept für eine Freie Schule vorgestellt wird.
Februar 1985: Antragstellung beim Regierungspräsidenten in Gießen auf Genehmigung einer privaten Grundschule mit besonderem pädagogischem Interesse.
August 1985: Die Vorschulgruppe der FSM (3 bis 6jährige) beginnt mit 10 Kindern. Kita- Bezuschussung bis zu 50 % der ungedeckten Kosten.
Januar 1986: Die Vorschulgruppe zieht in einen Seitentrakt der Schule für Praktisch
Bildbare, Großseelheimerstr. 12 in Marburg um.
August 1986: Der Regierungspräsident in Gießen erteilt die endgültige Genehmigung der FSM als private Grundschule mit Förderstufe. Sie wird gleichzeitig zur Versuchsschule des Landes Hessen in privater Trägerschaft. Die Schule beginnt mit 9 Schul- und mittlerweile 18 Vorschulkindern, gleichzeitig die wissenschaftliche Begleitung.
Oktober 1986: Genehmigung als staatlich anerkannte Kindertagesstätte.
August 1987: Anmietung eines weiteren Schulraumes ein Stockwerk tiefer, Neuaufnahme von 11 schulpflichtigen Kindern.
November 1987: Aufnahme in den DPWV (Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband).
Sommer 1988: „Streit um Kulturtechniken“ – innerschulische Debatte und Klärungsprozeß.
Frühjahr 1989: Veranstaltungsreihe der FSM, u.a. mit Sketchen.
Mai 1989: Bau eines Blockhauses mit den Kindern, das als Werk- und Abstellraum
dient.
Frühjahr 1990: Intensive Öffentlichkeitsarbeit u.a. Wanderphotoausstellung der FSM in verschiedenen Sparkassen, Diskussionsveranstaltung mit zahlreichen
GrundschullehrerInnen und medienwirksamer Aktion „Wir bauen uns unsere Schule selbst“.
März 1990: Aufführung des Theaterstückes „Zwerg Nase“ vor verschiedenen
Grundschulklassen aus Stadt und Kreis Marburg.
Mitte 1990: Jeweils DM 400.000 im Haushalt von Stadt und Kreis Marburg zum Ankauf eines Schulgebäudes.
Winter 1990: Scheitern des Ankaufes eines neuen Schulgebäudes in der Barfüßerstraße und in der Lutherstraße jeweils unmittelbar vor Abschluß des Kaufvertrages.
Mai 1991: Aufführung des Theaterstückes „Die Prinzessin und der Teufel“ während
der Mittelhessischen Schultheatertage.
Juni 1991: 2. Preis des Börsenvereins des deutschen Buchhandels an die ältere
Schulgruppe für eine Arbeit zu „Sams Wal“.
August 1991: Große Raumnöte für die mittlerweile 34 Schul- und 18 Vorschulkinder.
Oktober 1991: Stand auf der Umweltausstellung zum Thema „Müll“.
November 1991: Anerkennung als teilstationäre Einrichtung zur Einzelintegration
behinderter Kinder im Regelkindergarten.
Dezember 1991: Kündigung aller Räume in der Schule für Praktisch Bildbare zum
Sommer 1992.
1992 werden zum ersten Mal Kinder sechs Jahre Freie Schule durchlaufen haben und danach auf andere Schulen wechseln.
Zur Zeit (Januar 1992) 52 Kinder in 3 Gruppen:
Drei- bis Sechsjährige: 18 Kinder mit 3 Erwachsenen.
Sieben- bis Neunjährige: 18 Kinder mit 2 Erwachsenen.
Neun- bis Zwölfjährige: 16 Kinder mit 2 Erwachsenen.